Tag 20 Wien - Magadan: Judgement Day

Bereits um 06 Uhr - nach etwas mehr als 4 Stunden schlaf - bin ich wieder munter. Noch regnet es draussen aber ich mache mich fertig zur Abfahrt, denn es liegt ein langer und anstrengender Tag vor mir. 

Ich schlüpfe in mein durchnässtes Motorradgewand und fragte mich, wieso ich mich nicht doch noch einmal im Bett umgedreht habe um die angenehme Wärme der Bettdecke zu genießen. Aber ich war zu aufgeregt über das, was vor mir lag.

Nach ein paar Kilometern hörte es endlich auf zu regnen. Die Sonne wärmte den nassen Boden und Nebelschwaden zogen mystisch über die dunkle Schotterstraße. 


Die Erste Stunde ging es noch durch flache Wälder, doch schon bald sah ich am Horizont die Berge. Leider gibt das Foto nicht die großartige Szenerie weiter. Ich fuhr in ein Amphitheater aus Bergen. Dahinter schwarze, bedrohliche Wolken und im Vordergrund die Straße aus dunklem Gestein und der Nebel. Ich fühlte mich wie Frodo als er das erste mal Morder erblickte.

Es sollte der schönste Teil der Stecke sein, doch als ich in die Berge kam umhüllte mich dichter Nebel. Erst nach einer weiteren Stunde Fahrt durchbrach die Sonne erneut die Nebeldecke und vor mir breitete sich eine atemberaubens schöne, einsame Gebirgslandschaft aus. In diesen Momenten durchstrümt dich eine einzigartige, nahezu unbeschreibliche Energie, Es ist eine Michung zwischen Ehrfurcht vor der Natur und dem Bewusstsein, welches Privileg man hat diese Schönheit erleben zu dürfen. Du saugst davon auf soviel du kannst.



Es gab einige Baustellen entlang der Strecke. Die Straße war an sich ganz gut aber immer wieder wurde man daran erinnert die Konzentration zu halten. Was sonst passiert, sieht man hier:


Das Wetter war schön, der Wasserstand im Fluß schien niedrig und ich war zuversichtlich für die Old Summer Road.


Aber hinter dem nächsten Bergkamm änderte sich das Wetter schlagartig. Es wurde kalt und regnerisch. Die Straße verwandelte sich in eine rutschige Schlammpiste und einige Male schrammte ich an einem wilden Sturz vorbei und konnte diesen nur durch nützen der kompletten Straßenbreite verhindern. 




Bei Kyubeme muss man dann die Entscheidung treffen. "Old Summer Road" oder "Road via Ust Nera". Was einen auf der Old Summer Road erwartet sieht man gleich bei der Abzweigung. Die Brücke über den Kyubeme River ist schon lange nicht mehr passierbar. 


Ich versuchte einen Weg zu finden den Fluss zu queren. Ich sah einen alten Kamaz Truck von der anderen Flussseite kommen. Zur Info: Das ist noch nicht der Fluss - das ist nur der Weg zum Fluss!



Ok, Hier muss ich mal durch, nur um zum Fluss zu kommen. Aber ich habs natürlich probiert. So schnell gebe ich nicht auf! 


Beim Fluss angelangt zeigt mir der Lastwagenfahrer wie er den Fluß gequert hat. Ich sprach mit ihm über die "Old Summer Road" und er sagte nur dass es unmöglich ist. Die Wasserstände sind dramatisch hoch und selbst mit dem Lastwagen oder als Gruppe ist es kaum zu schaffen. Ich checkte den Flusseinmal zu Fuß ab - tiefe, Strömung, Untergrund - und dachte dass ich es schaffen könnte. Allerdings mit sehr hohem Risiko.


Dennoch fuhr ich zurück zur Kreuzung. Dort war eine kleine Tankstelle. Ich gönnte mir noch einen frischen Tee und ein Glas Vodka und wollte die Situation noch einmal überdenken. Die Lastwagenfahrer und der Tankwart rieten mir eindringlich ab es allein zu versuchen. Das Wetter war schon über eine Woche schlecht und alle die es bisher Versucht hatten, mussten umdrehen. Ich wollte es unbedingt! Doch ich zögerte - und das ist bei mir nie ein gutes Zeichen. Ich war verunsichert. Ich überlegte sicher eine Stunde und wog die Gefahren ab. 

Als ich den Trip  plante war mein einziges Ziel nach Magadan zu kommen. Und ich war schon weiter als ich hoffen konnte. Aber ich habe noch nicht genug. Ich war hungrig nach mehr. Die "Old Summer Road" Solo zu befahren wäre die ultimative Krönung der Reise.

Aber auf der anderen Seite melde sich der Kopf. "Du hast schon mehr erreicht was du wolltest. Du hast die BAM Road gemacht, schau dass du Gesund nach Hause kommst. Du musst deine Grenzen kennen. lass es gut sein." 

Und schlußendlich - schweren Herzens beschloss ich die "einfache" Route über Ust Nera zu nehmen. Ich hatte nur noch 2 Tage Zeit und das Risiko und die Gefahr schienen mir zu hoch. Hätte ich mehr Zeit gehabt, dann hätte ich es wohl versucht. Aber so war es wichtiger gesund wieder nach Hause zu kommen. Auch Verzicht zum richtigen Zeitpunkt muss gelernt sein. Oder ich war einfach zu feig und hatte nicht die nötigen Eier.


Aber der Tag ist noch nicht vorbei. Es ist erst Nachmittag und ich wollte es noch nach Ust Nera schaffen. Als ich mich auf den Trip vorbereitet habe, las ich des öfteren wie langweilig die Straße nach Ust Nera ist. Aber auch wenn ich mental niedergeschlagen war, genoss ich die unglaubliche Weite und die spektakuläre Landschaft.

Ich stoppte für ein Foto als ein Lastwagen sich wild hupend näherte. Der Fahrer sprang aus dem Führerhaus und wachelte wild mit den Armen. ich hatte keine Ahnung was los war bis er mir erklärte, dass sich hinter mir unbemerkt 3 Bären näherten. Leider sind sie nicht am Foto :-(



Meine Motivation war am Ende. Das werden jetzt 1.500 endlose Kilometer bis nach Magadan. Ich war kraftlos und spulte die Kilometer runter. Trotzdem versuchte ich mich zu motivieren: "Genieß die Landschaft - genieß es hier zu sein - sei dankbar so etwas machen zu können - saug die Eindrücke auf". 

Die schönheit der Landschaft half auf jeden Fall. ich liebe diese unendlichen Weiten, Wälder und Berge. Kurz vor Ust Nera kam ich auf einen Pass und ich blieb stehen.  Hier oben stehend und über die Berge blickend fühlte ich mich so klein und unbedeutend. Auf einmal realisierte ich wieder wie supercool und einzigartig diese Trip war und musste meine Freude und Emotionen laut in die Landschaft hinausschreien, 



Ust Nera ist der nördlichste Punkt meiner Reise. Die Stadt ist in desolaten Zustand. Die Gebäude sind kurz vor dem Verfall. Eine post-sowjetische-Apokalypse. Ich denke jeder der die Stadt verlassen konnte, hat sie verlassen. Mein Hotelzimmer war so schlimm, dass ich mein Zelt im Zimmer aufgestellt habe. Statt der Toilette gab es einen Kübel gefüllt mit Sand und etwas Wasser dazu. Ein Traum für einen gemütlichen Familienurlaub. Richtig promotet könnte das die neue Riviera des Nordens werden.






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